Fliesenmesse CERSAIE 2022
CERSAIE 2022: Zurück zur Normalität ?!
Der Besuch der Fliesenmesse CERSAIE in Bologna gehört für jeden, der sich professionell mit Fliesen beschäftigt, im September zum Pflichtprogramm. Nach der Absage 2020 aufgrund der COVID-Pandemie, durfte letztes Jahr die Messe unter strengen Auflagen und Einschränkungen stattfinden (unser Blog über die CERSAIE2021). 2022 sollte die Leitmesse der keramischen Industrie nun endlich wieder zur gewohnten Normalität zurückfinden. Leider fand die Fliesenmesse CERSAIE auch dieses Jahr unter schlechten Vorzeichen statt. Die russische Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 und der anhaltende Krieg beeinflusst bis heute (wenige Tage nachdem die Tore der Messehallen wieder geschlossen wurden) nicht nur die Schlagzeilen in den Tageszeitungen, sondern hat zum Teil bedrohliche Auswirkung auf die Fliesenproduktion in Europa genommen. Vor dem Krieg wurden wichtige Rohstoffe zur Fliesenproduktion in der Ost-Ukraine abgebaut. Spätestens mit der fast kompletten Zerstörung der wichtigen ukrainischen Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer versiegte diese Rohstoffquelle völlig und es mussten schnellstens neue Rohstoffquellen mit möglichst gleichen Eigenschaften gefunden werden. Gleichzeitig stieg der Gaspreis in nie gekannte Höhen. Gas ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil in der Fliesenindustrie, da die Brennöfen nur mit dieser Energie effizient betrieben werden können. Im Laufe des Jahres 2022 ist dieser Bestandteil für die Industrie nicht mehr kalkulierbar gewesen, so dass viele Fliesenhersteller in Europa nicht wirtschaftlich arbeiten konnten. Die Produzenten stellten zum Teil die Produktion zeitweise ein, die Werksferien in den Sommermonaten wurden verlängert bzw. die Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige Fliesenhersteller ihre Teilnahme an der keramischen Leitmesse kurzfristig absagten oder die Präsentation der Fliesen-Neuheiten in die Ausstellungen im Werk verlegten. Wir wollten uns unbedingt selber einen Eindruck von der Situation vor Ort machen, und so traten wir wieder die Reise nach Bologna an.
Die Reise zur CERSAIE2022 beginnt
Wegen der zum Teil chaotischen Zustände an den Flughäfen (unzählige plötzliche Flug-Stornierungen, Unsicherheiten bei der Gepäck-Beförderungen und extreme Verspätungen) beschlossen wir wie im Vorjahr, die Reise nach Italien mit dem Auto anzutreten. Um unseren Messe-Besuch etwas stressfreier antreten zu können, starteten wir bereits in den frühen Morgenstunden am Samstag (24.09.2022) und planten eine Übernachtung in der lombardischen Provinzhauptstadt Brescia ein. Wir nutzten den nächsten Morgen, um ein wenig die bei Touristen eher unbekannte Stadt in Norditalien zu erkunden. Wir erlebten eine Stadt, die verschiedene Baustile vereint: An der Piazza della Vittoria findet man den INA Tower, der mit fast 60m Höhe das erste Hochhaus in Italien war. In der Nähe steht das monumentale Palazzo delle Poste-Gebäude. Der Platz wurde von dem Architekten und Stadtplaner Marcello Piacentini in der Zeit des Faschismus geplant und entworfen. Wenige Schritte weiter kommt man zur Piazza della Loggia. Dieser Platz ist nach Meinung vieler Reiseführer der schönste Platz der Stadt. Hier begeisterte uns vor allem der aus dem Jahr 1546 stammende Uhrenturm. Wir genossen das besondere Ambiente bei einem typischen Espresso in dem gegenüberliegenden Café. Weiter ging es zur Piazza Paolo VI. Die Besonderheit dieses Platzes ist, dass sich hier gleich zwei Dom Gebäude befinden. Der alte Dom wurde Ende des 11. Jahrhunderts als Rotunda errichtet. Der direkt nach Norden hin angrenzende neue Dom fällt besonders durch seine imposante aus weißem Botticino Marmor bestehende Fassade auf. Nach der Grundsteinlegung 1604 vergingen bis zur Fertigstellung mehr als 200 Jahre, so dass man barocke und klassizistische Stilelemente an dem Gebäude ausmachen kann. (Quelle: Gardasee mit Verona und Brescia von Thilo Scheu, S. 346ff).Auf der Straße Via Musei erreichten wir die Ruinen des Capitol Tempels (74 n. Christus fertiggestellt) und des römischen Theaters. Unweit dieser Überreste aus der Antike besuchten wir das Stadtmuseum Santa Giulia. Das Museum befindet sich in einem alten Klosterkomplex, der seit 2011 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Hier werden auf ca. 14.000 qm insgesamt 12.000 Exponate ausgestellt. Das absolute Highlight waren für uns aber die Originalreste eines römischen Wohnhauses mit wunderschönen farbigen Mosaiken.Brescia hat uns wirklich positiv überrascht und wir sind uns sicher, dass wir der Stadt, die nächstes Jahr Kulturhauptstadt Italiens wird, in Zukunft noch einmal einen Besuch abstatten werden. Am frühen Nachmittag machten wir uns auf den Weg in das ca. 180km entfernte Fiorano (Emilia-Romagna), wo wir am Nachmittag und am Abend zwei Fliesenhersteller besuchen wollten, um deren Fliesen-Neuheiten kennenzulernen.
CERSAIE 2022 – endlich wieder Messe
Am Montag (26.09.2022) ging es endlich nach Bologna zur Fliesenmesse CERSAIE 2022. Im Gegensatz zum Vorjahr erlebten wir bereits auf den wichtigsten Zufahrtsstraßen zu den Messe-Parkplätzen Via Michelino und Via Stalingrado ein totales Chaos. Die Polizei und die Ordner waren ganz offensichtlich mit dem Besucheransturm komplett überfordert. Das Parkplatz-Chaos am Morgen sollte auch an unseren anderen Besuchstagen nicht abebben. Schließlich konnten wir mit Verspätung das Messegelände betreten. Nach unseren Erfahrungen auf den Zufahrtsstraßen und Parkplätzen befürchteten wir, in den Messehallen ebenfalls auf große Menschenmassen und Chaos auf den Messeständen zu treffen. Es zeigte sich aber, dass das neue Konzept der Messeleitung aufgehen sollte. Für die Besucher gab es in den neuen Messehallen mit den breiteren Gängen genug Platz, so dass wir entspannt unser Besuchsprogramm starten konnten.
CERSAIE 2022 – Die Evolution der Fliese
Überraschungen in Bologna
Viele Fachleute, die die Fliesen- und Keramikwelt gut kennen, waren sich im Vorfeld der Messe einig, dass die CERSAIE 2022 aufgrund der schlechten Vorbedingungen keine wirklich neuen Trends und Entwicklungen hervorbringen kann. Daher waren wir über die Anzahl der Fliesen-Neuheiten überrascht, die die Hersteller in Bologna präsentierten. Viele Kollektionen, die auf der CERSAIE 2021 vorgestellt wurden, erhielten ein Upgrade an zusätzlichen Farben und Formaten. Dieses war besonders bei den Kollektionen von Marmor – und Onyx-Optiken erkennbar. Travertin, das beliebte Baumaterial in der Römerzeit erlebte auf der CERSAIE 2022 seine Renaissance. Wie bei Naturstein üblich, wurde oft eine crosscut – (flächiger Schnitt der Adern) und eine veincut – (längs der Aderung) Version angeboten. Die warme Erscheinung und die interessante Aderung des Travertins lässt den Raum in einer angenehmen zeitlosen Eleganz erstrahlen. Der Trend zur Gemütlichkeit war auch bei den beliebten Betonoptiken erkennbar. Hier standen die Farben creme, beige, greige und mud eindeutig im Vordergrund. Auf der Messe entdeckten wir ebenfalls auffallend viele neue Terracotta-Optiken. Diese Fliesen in Erd- und Tonfarben weisen 2022/2023 ein auffallend schönes Farbspiel auf und werden in aktuellen Fliesenformaten angeboten. Die Sehnsucht nach Reisen in ferne Länder wird von den Herstellern mit Dekormotiven, die sich an orientalischen Mustern orientieren, oder mit farbigen Zellige-Optiken gestillt. Die Fliesenproduzenten haben Ihre ebenfalls im letzten Jahr vorgestellten XXL-Dekorfliesen, die an Tapeten oder Stucco-Arbeiten erinnern, überarbeitet und durch weitere Blumen- und Farnmotiven ergänzt. Wir waren von den Motiven einiger Hersteller so begeistert, dass wir uns entschlossen haben, diese zu bestellen und in unserem Zentrallager einzulagern. Wir werden daher schon bald diese dekorativen Fliesenbilder in unseren Fliesenausstellungen in Essen im Ruhrgebiet, Iserlohn und Delmenhorst bei Bremen anbieten können. Auf der CERSAIE 2022 gab es aber nicht nur optische Upgrades, es wurde auch die technische Evolution der Fliesen weiter vorangetrieben. Auffallend viele Hersteller bieten ihre aktuellen Fliesen-Kollektionen in dünnerer Stärke an. Im Vergleich zur dickeren Fliesenstärke gibt es keine Qualitäts- und Anwendungsnachteile, da neue Tonmischungen eine dünnere Stärke ermöglichen. Dieses spart kostbare Rohstoffe und senkt somit die Kosten für den Verbraucher. Gleichzeitig schrumpft auch das Gewicht der Fliese. Dieses spart nicht nur den Aufwand in der Logistik, sondern schont auch die Umwelt. Auf der Baustelle lassen sich die neuen Slim Fliesen auch leichter transportieren und verarbeiten. Auf der CERSAIE 2022 erfuhren wir eine weitere technische Evolution der Fliese: Immer mehr Hersteller versehen aktuelle Fliesenkollektionen mit weiteren Zusatznutzen: Fliesenglasuren, die Viren, Bakterien und/oder schlechte Gerüche abbauen (unser Artikel über die ADVANCE Technologie) . Andere Hersteller haben Oberflächen entwickelt, die sich in einer trocknen Umgebung angenehm samtig anfühlen. Sobald aber Nässe entsteht, nimmt die Rutschhemmnis zu und bietet so mehr Sicherheit gegen Ausrutschen und Unfälle.
Nach der CERSAIE2022 kommt die Tileweek2022
Beeindruckt von den unerwartet vielen Keramik-Innovationen haben wir die Fliesenmesse am frühen Mittwochnachmittag verlassen, um nach Sassuolo zu fahren. Hier erwartete uns die Tilesweek-Veranstaltung. Der Fliesenhersteller Marazzi hatte uns zu diesem Design-Hotspot eingeladen. Wir konnten am Stammsitz unseres Industriepartners nicht nur neue Kollektionen und Trends entdecken, sondern auch mannigfaltige Ideen und Anregungen für die vielseitige Verwendung von Keramik aufnehmen, die im Innen- und Außenbereich des rundum erneuerter Showrooms präsentiert wurden. Angeregt durch viele nette Gespräche hatten wir fast die Zeit vergessen und so verließen wir später als geplant das riesige Areal der Firma Marazzi, um weiter Richtung Norden zu fahren.
Es geht nach Hause
Da wir möglichst ausgeruht den langen Heimweg antreten wollten, beschlossen wir, noch eine Übernachtung in Nago-Torbole einzulegen. Nago-Torbole liegt am Nordufer des Gardasees und ist bekannt, durch den Fluss Sarca, der hier in den Gardasee mündet. Unweit des Ortes befindet sich auch der berühmte Urlaubsort Riva del Garda. Natürlich ließen wir uns es nicht nehmen, am nächsten Morgen die Uferpromenade des Gardasees zu besuchen, bevor wir uns auf unseren langen Heimweg machten.
CERSAIE 2022: unser Fazit zur Messe
91.296 Besucher haben in den 5 Tagen die Fliesenmesse CERSAIE 2022 nach Aussage des Messeveranstalters besucht. Das ist sicherlich kein neuer Rekordwert, aber immerhin ca. 50% mehr Besucher als im Vorjahr. Natürlich muss man bedenken, dass viele Besucher aus Russland und der Ukraine gar nicht die Möglichkeit hatten, nach Bologna zu fliegen. Auf der anderen Seite hörten wir von einigen amerikanischen Händlern, die der CERSAIE ferngeblieben sind, dass ja Krieg in Europa herrsche! Trotz aller Probleme, die die Fliesenhersteller und besonders die europäischen Besucher jeden Tag zu meistern haben, war die Messe ein positiver Lichtblick. Natürlich haben wir uns gefreut, viele Freunde und Bekannte aus der Fliesenwelt wieder persönlich zu treffen. Es ist für uns besonders bemerkenswert, wie schnell die Produzenten Lösungen gefunden haben, um den fehlenden Rohstoff aus der Ukraine zu ersetzen. Erneut müssen wir anerkennen, wie unsere Partner in der europäischen Industrie trotz schwerer Krise keramische Innovationen vorantreiben. Wir haben bereits einige Messe-Highlights der CERSAIE2022 geordert. Muster von Serien, die erst nach der Messe in Produktion gehen, müssen von uns noch gesichtet werden. Angeregt von den Werksbesuchen in Fiorano und Sassuolo werden wir auch einige neue Methoden der Präsentation in unserer Fliesenausstellung in Essen im Ruhrgebiet, Iserlohn und in Delmenhorst bei Bremen umsetzen. Bleiben Sie also gespannt, es gibt bald wieder viele neue Fliesen-Highlights in unseren Showrooms zu entdecken!
Quellenangaben
- www.cersaie.it
- „Gardasee mit Verona und Brescia“ von Thilo Scheu, 2019 erschienen im Reise-Know-How Verlag Peter Rump, 2. Auflage
- „Gardasee“ von Margherita Brettoni und Barbara Schäfer, 2020 erschienen bei Marco Polo, 20. Auflage
- „Gardasee“ von Max Fleschhut und Gottfried Aigner, 2020 erschienen im Gräfe und Unzer Verlag, München
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